Selektionszucht

Zu den Begriffserklärungen zum Thema Genetik geht es hier entlang: "Genetik - Begriffserklärungen".

Als Zucht wird im Gegensatz zur bloßen Vermehrung im allgemeinen eine kontrollierte Fortpflanzung mit einem bestimmten Zuchtziel definiert. Ein Zuchtziel ist in der Regel eine bestimmte phänotypische Merkmalsausprägung – die Selektionszucht ist eine Methode, dieses Ziel zu erreichen.

Bei der selektiven Zucht werden Individuen mit bestimmten Merkmalsausprägungen miteinander verpaart, um so die Gene, welche dieses Merkmal hervorrufen, zu festigen und/oder zu stärken, aber auch, um unerwünschte Merkmale verschwinden zu lassen. Moderne Techniken erlauben eine Selektion der Gene ohne lange Wartezeiten und Arbeit über viele Generationen – diese Auswahl wird heutzutage vor allem in der Pflanzenzucht praktiziert.

1 Arten der Selektion an Beispielen

1.1 Disruptive Selektion

Extreme Merkmalsausprägungen werden selektiert und getrennt weitergeführt. Es entstehen daraus neue Populationen mit eigenen Merkmalen und eigenem Mittelwert. Wird angewendet, um neue Zuchtlinien zu schaffen.

Ein Beispiel hierfür ist die Red Rili. Das Merkmal "transparenter Mittelteil" trat unvermittelt auf und wurde gezielt in einer eigenen Zucht weiter gefestigt.

1.2 Stabilisierende Selektion

Bei der stabilisierenden Selektion werden abweichende Merkmalsausprägungen entfernt. Dadurch wird die Population in Bezug auf dieses Merkmal stabiler – die Variation wird verringert. Wird vor allem angewendet, um eine bereits bestehende Zuchtform zu erhalten und die Merkmalsvererbung zu verbessern. Ziel ist die 100%ige Ausprägung.

Ein Beispiel hierfür ist das Merkmal "Rückenstrich" bei der Yellow Fire Neon. Der Rückenstrich kommt natürlicherweise hin und wieder bei den Weibchen dieser Farbform von Neocaridina davidi vor, durch eine strikt durchgeführte lineare Selektion fallen nur noch weibliche Garnelen mit Rückenstrich.

1.3 Transformierende (lineare) Selektion

Die transformierende Selektion beschreibt die Verschiebung des Mittelwerts einer Population: die Häufigkeit eines auftretenden Merkmals wird in eine bestimmte (gewünschte) Richtung verschoben.  
Ein Beispiel hierfür wäre eine Population Red Sakura, bei der immer wieder schwach gefärbte Tiere auftauchen. Diese werden aus der Zuchtgruppe genommen, und so setzt sich das Merkmal "intensive Färbung" immer mehr durch, das Merkmal wird erbfester, also stabiler, es fallen insgesamt weniger schwach gefärbte Tiere.

1.4 In der Praxis

Für Züchter ist natürlich jegliche Art der Selektion interessant und die Übergänge sind manchmal fließend. Eine Trennung der Methoden ist jedoch wichtig für den Erfolg der Selektion. Führt man alles parallel durch, läuft man Gefahr, sich zu verzetteln und keines der gesteckten Ziele zu erreichen. Ganz konkret: Will man aus einem gemischtfarbenen Bee-Stamm einen Red Bee-Stamm machen, wäre es sinnvoll, zuerst disruptiv (also rote ausselektieren), dann stabilisierend auf 100% Red Bee zu selektieren und danach dann erst z.B. an der Farbdeckung (transformierend) zu arbeiten.


2 Herangehensweisen zur Selektion

2.1 Positive Auslese

Es werden jene Tiere aus der Zuchtgruppe entfernt, welche die gewünschten Merkmale aufweisen. Mit ihnen wird eine neue Zuchtgruppe aufgebaut, die getrennt weitergeführt wird.

2.2 Negative Auslese

Es werden jene Tiere entfernt, welche die gewünschten Merkmale nicht aufweisen.

2.3 Individualauslese

Es werden einzelne Exemplare entfernt (männlich + weiblich) und getrennt vom Rest gezielt verpaart. Die eigentliche Selektion erfolgt erst bei den Nachkommen.

3 Probleme in der Praxis

3.1 Erkennen des Genotyps

Bei der praktischen Zucht ergibt sich die Problematik, dass man die Erbanlagen, sprich, den Genotyp, der Zuchttiere rein optisch nicht erkennen kann. Man kann als Züchter nur vom äußerlich sichtbaren Phänotyp, dem Erscheinungsbild, ausgehen und hoffen, dass sich bei hinreichender Selektion ein möglichst enges Streuungsbild zeigt und dass man mit der Zeit einen Genotyp mit nur geringen Abweichungen erreicht. Die Mendelschen Regeln geben uns einen grob vereinfachten Anhaltspunkt, wie Vererbung funktioniert, danach kann man sich richten, um gezielt zu züchten.

Eine Selektion nach monogen vererbten Merkmalen, also nach Merkmalen, die nur auf ein Gen zurückzuführen sind, ist relativ einfach. Häufig sind Merkmalsausprägungen jedoch von mehreren Genen abhängig, hier ist mehr Aufwand und Wissen nötig, damit das gewünschte Ziel erreicht werden kann.

3.2 Größe der Population

Ein Zuchtziel zu erreichen ist umso einfacher, je größer die Population ist. Daraus lässt sich das gewünschte Merkmal in größerer Menge selektieren. Die Nachkommenschaft der Zuchttiere ist zahlreicher, und auch aus ihr kann man wieder genau und streng selektieren. Oft ist man hier schon rein aus Platzgründen eingeschränkt, und man hat nur eine begrenzte Anzahl an Exemplaren, an Platz oder an Arbeitszeit. Je kleiner die Population, umso geringer ist tendenziell auch die Menge der Exemplare mit exakt den gewünschten Merkmalen und umso länger braucht es auch, das Ziel zu erreichen.

4 Wie selektiere ich in der Praxis?

Angelehnt an die oben ausgeführten theoretischen Möglichkeiten kann man nun in der Praxis z.B. in der Garnelenzucht folgendermaßen selektieren:

4.1 Negative Auslese

Die Methode der negativen Auslese eignet sich besonders, wenn man wenig Platz oder nur wenige Aquarien zur Verfügung hat. Tiere mit Merkmalen, die nicht den Zuchtzielen entsprechen, werden dabei aus dem Aquarium heraus gefangen. Sie können direkt in ein Mischbecken gesetzt oder an einen Garnelenhalter weitergereicht werden, der an ausselektierten Tieren Interesse hat. Tiere mit Gesundheitsmängeln wie einem ungenügend ausgebildeten Carapax sollten definitiv von einer Weitervermehrung ausgeschlossen werden, also zum Beispiel in ein Aquarium mit Fischbesatz kommen, der sich um eventuelle Nachkommen kümmert, oder in einem Aquarium mit gleichgeschlechtlichen Artgenossen gehalten werden.

4.1.1 Nachteile der Methode

Leicht übersieht man Tiere, die eigentlich ausselektiert werden sollten, oder man findet keinen Abnehmer: geschlechtsreife Tiere verpaaren sich, unerwünschte Gene können weitergereicht werden. Falls man nicht strengstens selektiert, braucht diese Variante wohl am längsten. Sie eignet sich eher zur Stabilisierung der Merkmale, weniger zur Verbesserung.

4.2 Positive Auslese

Die positive Auslese ist besonders effektiv. Diese Selektionsmethode ist ein Mittelweg zwischen der negativen Auslese und der Individualauslese. Die dem Zuchtziel am ehesten entsprechenden Tiere werden in ein separates Aquarium gesetzt und als neuer Stamm weitergeführt. Je größer die Anzahl der Tiere, umso schneller erreicht man das Zuchtziel. Hier kann man einfach ein Merkmal verbessern, aber auch neue Linien schaffen, wie bei der disruptiven Selektion beschrieben.

4.2.1 Nachteile der Methode

Je nach Varianz der Zuchttiere kann es schwierig sein, sich auf DAS Merkmal festzulegen - bei einem variantenreichen Stamm hat der Züchter die Qual der Wahl. Für jede Zuchtgruppe braucht man nicht nur Platz, sondern insbesondere im Anfangsstadium auch sehr viel Zeit und Geduld.

4.3 Individualauslese

Die Individualauslese ist eine Methode für geduldige Aquarianer. Sie ist sicherlich die beste Wahl, wenn man nur wenige Tiere oder gar nur ein Tier mit dem gewünschten Merkmal hat. Der Genpool der Nachkommenschaft wird damit möglichst eng gehalten, das Erreichen des Zieles benötigt hier oft weniger Generationen und man erreicht schneller eine bessere Qualität, als wenn man alles dem Zufall überließe - jedoch ist Geduld und Zeit gefragt. In der Praxis werden gezielt heraus gefangene Exemplare in einer sogenannten „Breeding-Box“ bis zur erfolgreichen Verpaarung gehalten.

 

Autor(en)

Ricardo Castellanos

Fotos: und Grafiken: Ricardo Castellanos