Genetische Defekte und Deformationen

Seit vor rund 15 Jahren die ersten Crystal Red Garnelen in europäischen Aquarien Einzug hielten, ist viel geschehen. Immer mehr Zuchtformen und Farbvarianten von Bienengarnelen und Mixen wie Taiwan Bees fanden im Laufe der Zeit den Weg in die Aquaristik. Mit ihnen kamen auch leider einige Deformationen und genetischen Defekte bei Garnelen. Auf die häufigsten Deformationen gehen wir hier im Einzelnen ein.

1 Schatzsucher

Einer der häufigsten Defekte sind wohl die "Schatzsuchergarnelen“ - zu erkennen an dem auffallend nach unten verkrümmten und oft verkürzten unteren Fühlerpaar. Die Ausprägung dieses genetischen Defekts wird auf Englisch auch "Treasure Hunter“ genannt. Der Name ist angelehnt an eine Wünschelrute, die nach unten ausschlägt, wenn Wasser gefunden wurde.

Diese Deformation ist sehr häufig, da sie oft einfach als normal hingenommen wird. Mittlerweile bekommt man so gut wie keinen Stamm mehr, der davon vollkommen frei ist. Im Vergleich mit der Wildform sieht man aber den Unterschied bei der Fühlerform deutlich. Auch bei sorgfältig arbeitenden Züchtern treten immer wieder solche Tiere auf. Da die Grenze hier recht schwierig zu ziehen ist, werden die Tiere je nach Stärke der Ausprägung aus der Zucht genommen oder dürfen verbleiben.

1.1 Rolling Antennas

Eine extreme Form der "Treasure Hunter“ sind die "Rolling Antennas“ oder "Curled Antennas".  Bei diesem Merkmal sehen die Antennen der Garnele aus, als wären sie durch eine Dauerwelle gerade frisch frisiert worden, sie sind deutlich nach hinten-unten gekrümmt.

Auffallend häufig tritt dieses Inzuchtmerkmal bei extrem gut durchgefärbten High-Grade-Tieren auf. Oft zeigen bei diesen Tieren die Antennen Farbansätze oder sind sogar komplett durchgefärbt.  Das hier gezeigte Tier war eines der besten Tiere im Stamm des Autors, und es aus der Zucht zu entfernen, war sehr bedauerlich, aber leider notwendig für einen verantwortungsvollen Züchter.

1.2 Folgen für die Garnele

Die verkrümmten Antennen verhindern eine korrekte Orientierung der Garnele im Raum - zum Tasten taugen sie nicht mehr. In einem Artbecken dürfte diese Deformierung die Tiere nicht stark einschränken, in Anwesenheit von Fressfeinden hätten sie deutliche Nachteile.

2 Zu kurzer Carapax

Definitiv ebenfalls nicht harmlos ist der verkürzte Carapax oder "Open Skirt", der in der Garnelenzucht leider ein häufiges Phänomen ist. Unter Carapax oder Cephalothorax versteht man den ersten Teil der Garnele, der sich von vorn bis zur ersten „Einschnürung“ des Panzers erstreckt (hier mit Pfeilen markiert).

Das auf dem Bild gezeigte Tier zeigt einen sehr gut ausgeformten und gesunden Carapax.  Hat der Carapax die richtige Ausmaße, so endet dieser ungefähr an der Stelle, an der die Beine einer Garnele am Körper ansetzen. An der Basis der Schreitbeine sitzen die Kiemen. Der Carapax übernimmt eine wichtige Schutzfunktion, da dieser die empfindlichen Kiemen des Tieres vor Beschädigungen und Angriffen von außen schützt.

Ein verkürzter Carapax ist dagegen nach unten nicht lang genug, und im Extremfall sieht man hier sogar die Kiemenansätze, die somit ungeschützt allen äußeren Einflüssen ausgesetzt sind.

2.1 Folgen für die Garnele

Beobachtungen von Züchtern und Haltern legen nahe, dass Garnelen mit verkürztem Carapax durch die frei liegenden Kiemen unter Einschränkungen, einem erhöhten Krankheitsrisiko und erhöhter Mortalität leiden. Auch wird vermutet, dass sich dieser Gendefekt weiter vererbt. Es wurden verschiedene Versuchsreihen dazu gestartet, die leider nicht zu Ende geführt wurden.

2.2 Einen verkürzten Carapax erkennen

Meist sieht man diese Deformierung nur dann mit bloßem Auge, wenn sie extrem ausfällt. Wenn man eine Verkürzung des Carapaxes erahnt, sich jedoch nicht sicher ist, wäre ein guter Weg, das betroffene Tier mit einer Spiegelreflexkamera und einem Makroobjektiv oder mit Makrolinsen fürs Handy zu fotografieren und anhand der entstandenen Bilder zu entscheiden, ob das Tier weiterhin für die Zucht in Frage kommt oder nicht.

Auch hier sind die Grenzen fließend, was als noch in Ordnung und was als schon zu kurz empfunden wird. Grundsätzlich gilt: Sind wie hier die Ansätze der Kiemen zu sehen, ist der Carapax definitiv zu kurz.

3 Ballonkopf

Beim Ballonkopf (Balloon Head) ist der Carapax im Kopfbereich ungewöhnlich stark aufgewölbt und wirkt im Extremfall im Vergleich zum Körper zu groß. Bei einer normal geformten Garnele ist der Kopf-Brustpanzer in der Regel nur leicht konvex.

Diese Taiwan Bee zeigt eine Tendenz zum Ballonkopf.

3.1 Folgen für die Garnele

Die inneren Organe haben in dem stark vergrößerten Kopfpanzer (zu) viel Platz. Probleme bei der Häutung, eine erhöhte Krankheitsanfälligkeit sowie Auswirkungen auf die Lebenserwartung sind denkbar, wurden aber nicht genauer erforscht.

4 Kurzes Rostrum

Eine weitere recht häufig auftretende Deformation ist das im Vergleich zur Wildform deutlich verkürzte Rostrum, auch "Short Rostrum" genannt. Bisher gibt es keine Definition, ab wann eine Garnele ein zu kurzes Rostrum hat. Mancher Züchter folgt jedoch der Faustregel, dass das Rostrum mit bloßem Auge sichtbar zwischen den Augen hervortreten und gut erkennbar sein muss.

Bei dieser Bloody Mary ist das Rostrum variantentypisch verkürzt, jedoch noch vorhanden.

4.1 Folgen für die Garnele

Inwieweit Garnelen durch das Fehlen des Rostrums in ihrem Alltag eingeschränkt sind, ist schwer zu beurteilen, weil die Funktion des Rostrums nicht wirklich erforscht ist. Tiere mit diesem Defekt erreichen meist ihr normales Alter und sind bis zum Schluss putzmunter und kerngesund. Auch gibt es Wildformen mit sehr kurzen Rostren. Eventuell ist ein fehlendes Rostrum nur für den Betrachter/Züchter störend.

5 Umgang mit Deformierungen bei Championaten

Bei verschiedenen Championaten werden mittlerweile genetische Defekte mit in die Bewertung der Tiere einbezogen - sie führen zu Punktabzügen. Immerhin ein starker Anreiz, gesunde Tiere zu züchten! Allerdings wird niemand bewusst Tiere mit genetischen Defekten zu solch einem Event einsenden, und leider ist damit nicht sichergestellt, dass in den heimischen Zuchtbecken nicht doch noch Tiere mit Gendefekten leben.

Da bei allen hier aufgezeigten genetischen Deformierungen die Grenzen zwischen Gut und Schlecht sehr fließend sind, wäre es für die ambitionierten Züchter sehr wünschenswert, wenn es nicht nur für nationale und internationale Championate einen Zuchtstandard gäbe, in dem klar definiert ist, was noch in Ordnung ist und was schon als Deformation gilt. Damit wäre auch im Vorfeld sofort klar, welche Tiere bei einem Championat disqualifiziert würden. 

 

Autor(en)

Sascha Gerber

Co-Autor(en)

Ulli Bauer

Fotos: Sascha Gerber, Chris Lukhaup, Tamara Stamm, Martina Huber, Sascha Gerber, Ricardo Castellanos/Martina Huber